Gemeinsam durch die Krise

In Zeiten von Kontaktverboten, Abstandsregelungen & Co. rücken die Menschen in Bremen umso näher zusammen – wenngleich auch nur im übertragenen Sinne, beobachtet Inka Kusen, Sozialpädagogin und Vorsitzende der „Vahrer Löwen – Verein für nachbarschaftliches Zusammenleben e.V.“ sowie des „Treff°Waschhaus“. Im Gespräch mit dem GEWOBA Magazin erzählt sie, worauf es im nachbarschaftlichen Umfeld und vor allen großen, anonymeren Hausgemeinschaften jetzt ankommt.

Wie erleben Sie die derzeitigen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise?
KUSEN: Ich finde, es kommt ermutigend viel Schönes zum Vorschein. Die Menschen mit denen ich spreche, reagieren auf die aktuellen Maßnahmen meist einsichtig und besonnen. Und das Schönste überhaupt: sie rücken näher zusammen – natürlich nur im übertragenen Sinne. Denn während die Menschen da draußen einen großen Bogen umeinander machen, achten sie zugleich mehr auf andere, zeigen sich empathisch und hilfsbereit. Nachbarn erledigen die Einkäufe füreinander und sogar Familien finden wieder zueinander. Schwieriger ist es, Leid und Nöte derjenigen einzuschätzen, die alleine leben, unter Umständen gar nicht mehr vor die Tür gehen und sich eben nicht aktiv bei Familie und Bekannten, uns oder einer alternativen Einrichtung melden.

Was ist das Schwierige an der momentanen Situation – gerade für ältere Menschen?
KUSEN: Neben mangelnder Bewegung – durch das Wegfallen von Friseurbesuchen, Krankengymnastik, Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten – macht Vielen zu schaffen, dass sie nicht selbst entscheiden können, wie sie ihren Alltag gestalten. Das größte Problem ist jedoch schlicht das Fehlen sozialer Kontakte. Zahlreiche ältere Menschen leben allein, entgehen der Einsamkeit im Normalfall durch die Teilnahme an verschiedenen Gruppen, Vereinsaktivitäten oder Freizeittreffs. Genau das fällt nun komplett weg – eine Tatsache, die sich definitiv bemerkbar macht.

… wie – beziehungsweise was sind die Gefahren einer solchen, unfreiwilligen Isolation?
KUSEN: Gerade bei Menschen mit wenigen engen, familiären oder freundschaftlichen Kontakten, die zudem nicht gewohnt sind um Hilfe zu bitten, kann das Gefühl von Einsamkeit schnell überhandnehmen. Manche sehen dann keinen Sinn mehr darin, am Morgen aufzustehen, regelmäßig zu essen oder ans Telefon zu gehen. Ein Teufelskreis, der unbedingt durchbrochen werden muss.

Was ist demnach jetzt in einer Hausgemeinschaft wichtig?
KUSEN: Gucken Sie genau hin! Fällt Ihnen auf, dass Sie Ihren alleinstehenden und sonst sehr kommunikativen Nachbarn schon ein paar Tage nicht gesehen haben oder die Jalousien ungewohnt lange unten bleiben, rufen Sie ihn an oder klingeln Sie einfach an seiner Tür – natürlich unter Einhaltung des notwendigen Abstands. Wem das bereits ein wenig zu weit geht, der wirft alternativ den Flyer einer Nachbarschaftshilfe oder einen Zettel mit der eigenen Telefonnummer in den Briefkasten. In der Vahr fungieren gerne wir, die „Vahrer Löwen“, als erste Anlaufstelle und Wegweiser zu konkreten Hilfsangeboten. Wichtig ist einfach, auf das eigene Bauchgefühl zu hören und die Augen nicht vor den Schicksalen der Menschen um uns herum zu verschließen.

Was können Sie und die „Vahrer Löwen“ derzeit konkret tun, um zu helfen?
KUSEN: Jetzt, da unsere Besuche und Veranstaltungen ausfallen, ist es wichtig, telefonisch erreichbar zu sein. Selbstverständlich ersetzen wir keine Telefonseelsorge, aber den Menschen im Stadtteil wollen und können wir dieser Tage auch am Telefon Unterstützung bieten. Wenn es konkrete Nöte gibt, wie z. B. Probleme bei der Erledigung von Einkäufen, helfen wir gerne mit Kontakten zu entsprechenden Organisationen oder entsprechend ehrenamtlich Engagierten Menschen aus der Nachbarschaft.
Unsere langjährigen „Löwen“ rufen unterdessen eher an, um einfach mal wieder zu Klönen. Wer über Langweile klagt, für den haben wir ein paar Tipps parat.

Welche Tipps sind das, die Sie für die Zeit zuhause geben?
KUSEN: Ich rate zunächst zum Naheliegenden, also dem Lesen eines schönen Buches, zum Handarbeiten oder dem Erledigen von Dingen, die man schon lange immer wieder aufschiebt. Zum Beispiel den Karton mit den alten Fotos zu sortieren und die Bilder in ein Album zu kleben. Das Wichtigste aber ist das Kontakt halten mit lieben Menschen. Das kann bedeuten, öfter und regelmäßiger als bisher zu Telefonieren oder mal wieder einen Brief zu schreiben. Hilfreich ist darüber hinaus, bewusst in die Zukunft zu blicken und entsprechende Pläne zu schmieden. Den „Löwen“ aus unseren Gruppen empfehlen wir, sich auch jetzt auszutauschen und Vorschläge für die Zeit ‚nach Corona‘ zu sammeln. Also: welches Lied wollen wir im Chor als nächstes einstudieren, welches Rezept sollten wir zusammen kochen oder welche Geschichte schreibe ich jetzt lieber auf, um sie beim nächsten Löwentreff zu erzählen?!

Kurzum: Worum es jetzt geht ist, hinzugucken, zuzuhören, Hilfe anzubieten und (!) anzunehmen. Darüber hinaus sollten wir versuchen, das positive in der Krise zu sehen und sich an eben diesen Dingen zu erfreuen. Denn dann gehen wir letztlich sogar gestärkt daraus hervor.

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Was jetzt wichtig ist: hingucken, zuhören, Hilfe anbieten und annehmen!

Inka Kusen, Vorsitzende der Vahrer Löwen

Die Vahrer Löwen
Die „Vahrer Löwen – Verein für nachbarschaftliches Zusammenleben e.V.“ besuchen einsame Menschen auf Wunsch zu Hause und schenken ihnen Zeit – ob zum Spielen, Klönen, Begleiten oder Informieren, zum Beispiel über die Angebote und Aktivitäten des Vereins sowie weitere (Hilfs-)möglichkeiten im Stadtteil. Zu den „Vahrer Löwen“ gehören Menschen und Institutionen, die sich ehrenamtlich und aktiv für das nachbarschaftliche Zusammenleben in der Vahr engagieren. Eine finanzielle Unterstützung für die Aufsuchende Seniorenarbeit, den „Löwentreff“ und den „Treff°Waschhaus“, gibt es von der Bremer Sozialbehörde.

Weitere Infos & Kontakt
www.vahrer-loewen.de
E-Mail: info@vahrer-loewen.de
Telefon: 0421 959 13 48