Die Frau, die hinter die Fassade schaut

Die Eigentumsverwaltung der GEWOBA betreut Wohnungsanlagen in ganz Norddeutschland. Gerade bei Sanierung und Instandhaltung ist die technische Expertise des Teams wertvoll für die Eigentümer. Wenn es dann auch noch um ein denkmalgeschütztes Gebäude geht, sind neben Fachwissen auch Nerven aus Stahl gefragt.

GEWOBA-Architektin kämpft um Erhalt baulicher Stadtgeschichte
Claudia Zeller-Kettler ist – ganz plakativ gesprochen – die Fachfrau fürs Grobe und ein Feingeist zugleich. Denn der Bauingenieurin und Architektin obliegt bei der GEWOBA sowohl die Verantwortung für die korrekte Umsetzung baulicher Maßnahmen als auch für die Einhaltung der zuvor von den Eigentümern beschlossenen Kostenfreigaben. Knapp 14.500 Eigentums-Objekte betreut die GEWOBA. Mal leben 100 Parteien in einem Objekt, mal nur 16. Die verschiedenen Beschlussfassungsarten, so der Fachjargon, machen es nicht einfacher. Betrachtet man jetzt noch, dass eine bauliche Veränderung alles umschreibt, was an einem Gebäude hinzukommt oder davon entfernt wird, wird klar, welcher Herkulesaufgabe sich Claudia Zeller-Kettler oft stellen muss. Denn: Sogar das Anbringen eines Briefkastens kann eine bauliche Veränderung sein.

Alles in allem ist das für Fachfremde kein einfaches Terrain und auch für ausführende Architekten nicht immer so leicht. „Wir müssen bei allem, was wir planen, verschiedenste Menschen einbeziehen, damit wir das Vorhaben realisieren dürfen.“

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Bei diesem Haus ist alles anders, vorrangig die Konstruktion. Und genau deshalb steht es heute auch unter Denkmalschutz.

Claudia Zeller-Kettler

Die Schleifmühle – wo alles anders ist
Und als wäre es nicht schwierig genug, als Verantwortliche den berühmten Konsens zu finden, gibt es Aufträge, die selbst Profis wie Zeller-Kettler auch nach mehr als 30-jähriger Berufserfahrung noch überraschen: denkmalgeschützte Gebäude wie etwa Außer der Schleifmühle 27 in der Bremer Bahnhofsvorstadt. „Bei diesem Haus ist alles anders, vorrangig die Konstruktion. Und genau deshalb steht es heute auch unter Denkmalschutz.“

Wenn man verstehen will, was heute am, im und unter dem Jugendstil-Gebäude passiert, muss man zurückschauen: Erbaut im Jahr 1906 nach Plänen von Heinrich Behrens-Nicolai residierten der Kaufmann Julius Elbrecht und die Bremer Automobil- und Fahrradcentrale in dem mondänen Gebäude. Das Besondere: die Bauträger experimentierten seinerzeit erstmals mit Stahlbeton, welcher Gebäude für die Ewigkeiten schaffen sollte. Die Funktionalität ist recht einfach erklärt: Spezieller Betonstahl wird in die Schalung des Bauteils eingebaut und anschließend einbetoniert. Damit die Stahlkonstruktion am festgelegten Platz bleibt, wenn sich Tonnen flüssigen Betons darüber ergießen, bediente man sich seinerzeit sogenannter Bindedrähte, um die Stähle miteinander zu verflechten. Es entstanden korbähnliche Konstrukte, die – mit Abstandhaltern versehen – mit Beton vergossen wurden. All das fußt auf einer Idee des Franzosen Joseph Monier, der die Mischung von Beton und Stahlgeflechten einst zum Patent anmeldete und damit zugleich Namensgeber für den Bewehrungsstahl wurde, der fortan unter dem Namen Monierstahl erhältlich war. Und genau hier kommt der Punkt, an dem die versierte Ingenieurin sich nicht auf Fachwissen und Erfahrungswerte verlassen kann: Die Monierbauweise unterscheidet sich von dem, wie Stahlbeton heute gemacht wird. Da es weder Erfahrungswerte noch standardisierte Vorgaben gab, vermutet Claudia Zeller-Kettler, dass man seinerzeit am Bau getestet hat, was wo und wie umsetzbar ist und was nicht. Damit ist es nahezu aussichtslos, auf Unterlagen, Pläne oder bestenfalls Berechnungen zurückgreifen zu können, die ihr in irgendeiner Art und Weise weiterhelfen würden, für das betreffende Objekt die besten Sanierungsmaßnahmen zu finden.

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Steinerner Zeitzeuge – wo Mauern Geschichten erzählen
Gefragt, wie man die Qualität und die Beschaffenheit einer solchen über 100 Jahre alten Stahlbetonkonstruktion heute beurteilt, antwortet sie kurz und knapp: „Aufmachen.“

Und exakt darum ging und geht es: die Beurteilung des seit 1994 unter Denkmalschutz stehenden Objektes Außer der Schleifmühle 27, das die Architektin vor etwas mehr als vier Jahren übernommen hat. Eine erste Ortsbegehung zeigte nicht viel anderes, als das, wofür das Gebäude 1906 geschaffen wurde: Ein schön verziertes, weiß verputztes Gebäude mit einer imposanten Hauptfassade, die über durchlaufende Pfeilervorlagen in fünf Achsen gegliedert ist. Im Erdgeschoss damals wie heute: große Ladenlokale, deren Interieur durch verschiedene Epochen und ihre Bewohner immer wieder neu geprägt wurde. Weiter fallen die Obergeschosse mit schön gestalteten Drillingsfenstern, Loggien, Balkonen und einem abgerundeten zweigeschossigen Erker in der Mittelachse ins Auge. Neben zahlreichen Profilierungen, figürlichen Reliefs, Konsolen und Säulen ragen zwei überlebensgroße Frauenfiguren heraus. „Im Zuge einer Überarbeitung der Fassadenrisse wurde auch der Zustand dieser tonnenschweren Elemente angeschaut und festgestellt, dass eine Konsole defekt ist. Um herauszufinden, ob sie noch tragfähig ist, musste ich sie öffnen lassen, da weder der hinzugezogene Statiker noch die externe Materialprüfungsanstalt Aussagen über die Konstruktion und die Schädigung machen konnten“, berichtet Zeller-Kettler. Vorsichtshalber musste der Bereich unter der Figur gesperrt werden, da trotz Sicherungsmaßnahmen nicht auszuschließen war, dass die Figur bei der Untersuchung abstürzt. Frau Zeller-Kettler erinnert sich, dass sie trotz aller Erfahrung die ein oder andere schlaflose Nacht deswegen hatte. „Die Zeit fordert ihren Tribut und das sieht man“, konstatiert die Expertin. Höchste Zeit also, weitere Sanierungsmaßnahmen einzuleiten, um das Gebäude langfristig bewohnbar zu erhalten.

Handwerkersuche wird zur Sisyphus-Aufgabe
Und genau das ist der Moment, in dem die engagierte Architektin zu mehr wird als zur
GEWOBA-Beauftragten, die die Sanierung des denkmalgeschützten Hauses koordinieren soll. Claudia Zeller-Kettler wird zu einer Suchenden. Nach Steinmetzen, die in alter Tradition die angegriffenen Figuren restaurieren können. Nach Schreinern, die ihr Handwerk noch so gut beherrschen oder an die jüngere Generation vermittelt haben, dass die massive Eingangstür mit den kleinen Schnitzereien originalgetreu ersetzt werden kann. Nach Drechslern, die Treppenhandläufe fertigen können. Und: nach Archivmaterial und Plänen, in denen sich detaillierte Infos zum Bau des Hauses finden lassen. „Allein die Decke im Keller hat verschiedene Felder, die alle in unterschiedlichen Ausführungen umgesetzt und statisch anders aufgebaut wurden. Manchmal findet sie Berechnungen zu einzelnen Feldern, der große Überblick aber fehlt.

Es gibt also oft nur den einen Weg, sich valide Daten zur Beschaffenheit der Bausubstanz zu beschaffen: aufmachen, reinschauen und begutachten, passende Einzellösungen für die Sanierung finden und danach entsprechend wieder zumachen. „Das ist bei diesem Objekt sehr schwierig, denn allein das Aufmachen und Prüfen verursacht Kosten, die ich mir im Vorfeld erst einmal freigeben lassen muss“, schildert sie den Kampf gegen die Zeit. „Ich stehe auf einer Baustelle und sehe, dass hier dringend Handlungsbedarf ist. Und ich weiß genau, dass allein die Feststellung dessen, was getan werden muss, so teuer wird, dass ich auch das erst einmal beschließen lassen muss. Hinzu kommt die ein oder andere Überraschung, die man entdeckt, wenn der jeweilige Punkt geöffnet wurde.“

Im Keller kann man die Bauwerksschäden erkennen, die durch Feuchtigkeit entstanden sind. Der Name „Außer der Schleifmühle“ deutet auf eine ehemalige Wassermühle hin.
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Der „Feind“ lauert überall: Wasser
Feuchtigkeit ist hier ein bekanntes Problem, denn die Schleifmühle hat ihren Namen von dem Bachbett, in dem sie gebaut wurde. Kurzum: Es tropft von oben, es sickert von unten und ist im Gesamten feucht, was Decke und Tragkonstruktion über die vergangenen Jahrzehnte geschädigt hat. Angebote zur Schadensbehebung werden eingeholt. Bevor das möglich war, galt es allerdings wieder, die Eigentümer allesamt von der Notwendigkeit zu überzeugen. Und dann passierte, was Fluch und Segen zugleich ist: Die Ingenieure fanden Alternativen, die für die Eigentümergemeinschaft nicht nur besser, sondern vor allem weniger kostenintensiv werden sollten. Die Crux: die Ausarbeitung dieser beiden Zusatzkonzepte kostet noch einmal etwas Geld, könnte aber in Summe bei der finalen Umsetzung der Baumaßnahmen helfen, den Eigentümern immense Kosten zu ersparen. Ein erneuter außerordentlicher Termin muss her.

So geht Woche um Woche und Monat um Monat ins Land. Die Architektin kennt das Prozedere aber auch ganz anders: „Wenn ich einen einzelnen Eigentümer oder Investor als Auftraggeber hatte, dann habe ich den von der Baustelle aus angerufen und berichtet: Ich habe ein besseres Konzept, das kostet jetzt X Euro, spart aber hinten raus bei der Fertigstellung Geld. In den meisten Fällen wird das schon am Telefon genehmigt“, schildert sie ihre Erfahrungen.

Spannungsfeld: Eigentümer-Bedürfnisse und Notwendigkeiten
Das lange Warten und die aufwendigen Prozesse nebst den behördlichen Auflagen begleiten die Ingenieurin im Alltag. Sie ist Profi genug, um solche Situationen souverän zu managen, gibt aber auch zu, dass ihre Geduld manchmal sehr beansprucht wird. „Ich habe wegen der maroden Decke die Stellplätze sperren lassen. Man muss sich nur mal vorstellen, was passieren kann, wenn ein LKW durch diese Decke brechen würde“, beschreibt sie ihre große Verantwortung. Die Folge: Einschränkungen für die Gewerbetreibenden, dass ihre Kunden keine Parkplätze mehr vor der Tür haben. Zeller-Kettler kann das Denken der Eigentümer mit Blick auf die Geschäftstüchtigkeit schon nachvollziehen, wünscht sich aber hier mehr Weitblick und Verständnis für die kritische Situation.

Kleiner Trost: Es gibt viele, die sich bedanken für die Mühe, die sie sich macht. Und sie weiß eben auch, dass es gerade Außer der Schleifmühle einen Mix an verschiedensten Hausbewohner*innen mit unterschiedlichen Meinungen gibt, die ihr das Leben nicht unbedingt immer leichter machen. „Das ist aber auch gleichwohl das reizvolle und spannende an der Zusammenarbeit bei diesen Objekten“, lacht sie. In dem Prachtbau finden sich schicke frisch renovierte moderne 200-m2-Wohnungen ebenso wie Wohnungen, in denen seit Jahrzehnten nichts mehr reonviert wurde.

Das Foyer in der Pracht des Jugendstils.
Die Rosetten verbergen den Anschluss für die frühere zentrale Staubsaugeranlage.

Für mehr Sozialleben und Miteinander
Trotz aller Widrigkeiten: Tauschen möchte sie nicht. Sie geht ihrer Arbeit mit Leidenschaft nach und brennt für ihren Beruf wie am ersten Tag. Nicht umsonst hat sie mal eben schnell binnen vier Wochen das eigene Haus selbst renoviert: „Tapeten runter, Malern und all so Sachen, das mache ich alles selbst.“ Dennoch hat auch sie Wünsche: weniger Bürokratie und mehr aus der Praxis für die Praxis. Im Haus Außer der Schleifmühle könnte das helfen, den Unterhaltungsrückstau aufzuholen.

Stand heute geht die Expertin davon aus, dass es noch Jahre dauert, um alle offenen Baustellen zu beseitigen. Gefragt nach dem Sinn und den vielen Auflagen, verteidigt sie das Prinzip Denkmalschutz und auch den Erhalt architektonischer Kleinode wie diesem: „An einem Bauwerk aus einer vergangenen Zeit lassen sich nicht nur frühere Handwerkskunst und konstruktive Lösungen erkennen, sondern auch das Sozialleben vergangener Zeiten. Dies belegen in Bremen zahlreiche Baudenkmäler, Zeitzeugen von Städtebau, Wohn- und Lebens-
kultur vieler Epochen.“