Die Zwei-Zimmer-Wohnung der gebürtigen Russin befindet sich im zweiten Obergeschoss eines hellen Flachdachbaus mit insgesamt sechs Wohneinheiten. Hellblaue Fliesen zieren den Aufgang im gepflegten Treppenhaus. Hinter der weißen Wohnungstür mit Spion empfängt uns der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und das herzliche Lächeln unserer Gastgeberin Ludmilla Schulz.
Willkommen in der guten Stube
Herzstück ihrer liebevoll eingerichteten 60 Quadratmeter ist das Wohnzimmer. Gleich der erste Blick gilt unweigerlich dem großflächigen Ölbild „Pärchen am See“, signiert von „Ludmilla“. Darüber hinaus fungieren eine Sechzigerjahre Stehlampe in Orange sowie ein gleichfarbiges Telefon im Retro-Look als dekorative Hingucker. Gegenüber der hölzernen Wohnwand mit Vitrine: das stoffbezogene Ecksofa mit Schlaffunktion. Ideal für Übernachtungsbesuche von Töchtern und Enkelkindern, deren Gesichter ihr hier von zahlreichen Fotos entgegenlächeln. Aus gutem Grund finden am ovalen Ausziehtisch vor dem Fenster bis zu zehn Personen Platz.
Malen mit Aussicht
Vom Esstisch aus fällt der Blick auf Lieblingsplatz Nummer Eins: den Balkon! Hier wachsen pinkfarbene Geranien und duftende Küchenkräuter. Floral gemusterte Sitzpolster laden auf hölzernen Hochlehnern zum Entspannen ein. Soweit die Theorie. Denn Tatsache ist: Sitzend trifft man die 61-Jährige hier eher selten an. Entspannung findet sie vielmehr vor der hölzernen Staffelei, die hier während der milderen Monate einen Stammplatz einnimmt. Gerade entsteht dort das Porträt eines verträumt blickenden Mädchens. Neben eigenen Ideen sind es immer öfter Auftragsarbeiten nach Fotovorlage, die die Wahl-Vahraonin für Familie und Freunde malt. Deren Lob oder gar Bewunderung anzunehmen, fällt ihr jedoch noch immer schwer. „Ich selbst habe mein Talent lange nie so richtig ernst genommen“, erzählt Ludmilla Schulz, „vielleicht, weil mir das Malen schon immer so unheimlich leichtfiel.“
Aufbruch in ein neues Leben
Ludmilla malt von frühester Kindheit an, zunächst umgeben von den dichten Wäldern und eisigen Seen der sibirischen Taiga. Eine Zeit, die sie bis heute prägt! Ihren Leitsatz „Behandle Menschen immer so, wie du selbst behandelt werden möchtest!“ hat sie von ihrer Mutter, nach dem tragisch-frühen Tod des Vaters alleinerziehend mit vier Kindern. Und so empfängt Ludmilla Schulz einen jeden Gast mit offenen Armen statt mit einem distanzierten Händeschütteln, glaubt an Schutzengel, das Gute im Menschen und schicksalhafte „Happy Ends“.
Schon als Kind liebte ich das Märchen der Bremer Stadtmusikanten und träumte davon, genau wie sie einmal dorthin zu reisen.
Zweite Heimat – Bremen!
Ihr ganz eigenes begann für die damals 35-Jährige im März 1993, als sie zusammen mit ihrem Ehemann – einem deutschstämmigen Tischler – und den gemeinsamen Töchtern Julia (14) und Eugenie (9) nach Deutschland kam. Konkret – nach Essen. Nächste Station: das niedersächsische Cloppenburg. Nach einer Umschulung arbeitete die gelernte Näherin dort über zehn Jahre als Floristin. Eine Zeit, an die bis heute zahlreiche Kunstblumen-Arrangements erinnern. Inzwischen alleinstehend, war vor rund acht Jaren dann noch einmal Zeit für einen Neuanfang. Der Umzug von Tochter Julia nach Bremen, ein willkommener Wink des Schicksals: „Schon als Kind liebte ich das Märchen der Bremer Stadtmusikanten und träumte davon, genau wie sie einmal dorthin zu reisen. Also zögerte ich nicht lang, als Julia mich bat mitzukommen. Vor allem, nachdem sie hier auf Anhieb meine Traumwohnung fand, in der ich bis heute lebe.“
Die Kunst öffnet Türen
Was geholfen hat, Fuß zu fassen: eine Gruppe Freizeitkünstler, mit denen Ludmilla Schulz allein im laufenden Jahr bereits zwei Ausstellungen organisierte. Und – ihr Job im Mütterzentrum Tenever e. V. Dort leitet sie unter anderem die interkulturelle Nähwerkstatt „Mosaik“ für Frauen aus aller Welt. Derzeit entsteht hier zeitgemäße europäische Mode aus traditionell-afrikanischen Stoffen, so bunt und fröhlich wie das Temperament der teilnehmenden Frauen – ob aus Ghana, Sri Lanka, dem Kosovo oder Sibirien.
„Priyatnogo Appetita!“
Auch zu Hause mag es Ludmilla bunt. Akzente in kräftigem Petrol sorgen im weiß gefliesten Tageslicht-Bad schon am frühen Morgen für gute Laune. Zu den Hinguckern in ihrer kleinen, hell eingerichteten Küche gehört ein Apfel-Bild auf Leinwand, in leuchtendem Grün – natürlich selbst gemalt und farblich passend zu den Tischsets und der zarten, lichtdurchlässigen Küchengardine. Gegenüber der Küchenzeile in L-Form: ein schmaler Glastisch sowie zwei cremefarben bezogene Polsterstühle in Lederoptik. Allerdings – gekocht wird im Alltag eher selten. Dafür umso mehr, wenn Freunde oder Familie kommen. Enkel Raphael (9) schwört auf die Pfannkuchen der Oma. Ludmillas Töchter auf „Tschebureki“, saftig-knusprige Teigtaschen, traditionell russisch.
Atelier & Galerie in Einem
Das für sie Wichtigste bei der Einrichtung der eigenen vier Wände: Gemütlichkeit, Wärme und Harmonie. Im Schlafzimmer dominiert daher ein bequemes Doppelbett in Walnuss-Optik, flankiert vom dazu passenden Kleiderschrank mit Spiegeltür. An der Wand gegenüber ranken sich üppig sprießende Hängepflanzen von einem Regalboard. Darunter ein buntes Sammelsurium aus dutzenden Leinwänden und Bilderrahmen.
Vom ersten Moment an fühlte ich mich hier rundum wohl, freue mich jeden Tag über die beinahe idyllische Ruhe, das viele Grün und meinen schönen, großen Balkon.
Keine Fremden – sondern Nachbarn
Wovon Ludmilla schwärmt: Das Quartier um die Hans-Mehring-Straße in der Bremer Vahr liegt in Luftlinie nur rund 50 Meter vom Einkaufszentrum „Berliner Freiheit“ entfernt. Toll für Erledigungen des täglichen Lebens und zugleich der ideale Rückzugsort vom Trubel der Stadt. Zwischen altem Baumbestand, üppig bepflanzten Beeten und zahlreichen Grünflächen spazieren vereinzelt Anwohner zwischen den Häusern entlang, führen Hunde aus oder halten einen kurzen Plausch mit dem Postboten. Kurzum: Hier leben keine anonymen Fremden, sondern gute Nachbarn. Ludmilla Schulz: „Vom ersten Moment an fühlte ich mich hier rundum wohl, freue mich jeden Tag über die beinahe idyllische Ruhe, das viele Grün und meinen schönen, großen Balkon. Innerhalb kürzester Zeit ist Bremen für mich zur zweiten Heimat geworden. Und wieder hatte meine Mutter recht, die sagte: ‚Irgendwann wird alles gut!‘“